Chemienobelpreis 1907: Eduard Buchner

Chemienobelpreis 1907: Eduard Buchner
Chemienobelpreis 1907: Eduard Buchner
 
Der Deutsche erhielt den Nobelpreis für seine biochemischen Arbeiten und seine Entdeckung der zellfreien Gärung.
 
 
Eduard Buchner, * München 20. 5. 1860, ✝ Foŝsani (Rumänien) 13. 8. 1917; ab 1890 Unterrichtsassistent von Adolf von Baeyer an der Universität München, ab 1893 Lehrauftrag an der Universität Kiel, seit 1896 Professor an der Universität Tübingen, ab 1898 Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin, 1909 Berufungen als Professor an die Universität Breslau und 1911 an die Universität Würzburg.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Im 19. Jahrhundert gingen die Auffassungen über die Natur von Gärungsprozessen weit auseinander. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stand die alkoholische Gärung, bei der Zucker (Saccharose) unter Einfluss des Enzyms Hefe in Alkohol(Ethanol) und Kohlendioxid umgewandelt wird. Der bedeutendste deutsche Chemiker, Justus von Liebig, fasste in den 1830er-Jahren Hefe als chemische Verbindung auf, die durch ihren Kontakt mit einer Zuckerlösung den Zucker zersetzt und dabei selbst eine Zersetzung erfährt (Zersetzungstheorie der Gärung). Andere Forscher wie der Arzt und Physiologe Theodor Schwann sahen Hefe als einen Mikroorganismus an und betrachteten die Lebensprozesse der Hefe als Ursache der Gärung.
 
Der physiologische Chemiker Moritz Traube fasste zwar die Hefe als Mikroorganismus auf, postulierte aber 1858, dass in der Hefe bestimmte chemische VerbindungenFermente — vorhanden seien, die die Gärung katalysieren, ohne sich dabei zu zersetzen. Es sollte möglich sein, diese Fermente aus der Hefe zu extrahieren. Traube vermutete, dass es sich bei diesen Fermenten um den Eiweißstoffen sehr ähnliche Verbindungen handeln müsse. Fermente, die man aus Zellen und Geweben extrahieren konnte, erhielten in den 1870er-Jahren den Namen Enzyme, sodass die Traube'schen Auffassungen zur Gärung seit dieser Zeit als Enzymtheorie der Gärung bezeichnet wurden. Da es aber nicht gelang, diese prognostizierten Gärungsenzyme zu isolieren, blieb die Traube'sche Theorie vorerst unbewiesen.
 
Ab 1860 begann sich die besonders von Louis Pasteur vertretene vitalistische Auffassung über Gärungsprozesse durchzusetzen. Das experimentell gut abgesicherte Dogma lautete: Ohne lebende Hefezellen gibt es keine alkoholische Gärung. Diese bis in die 1890er-Jahre herrschende These wurde 1897 durch eine Mitteilung in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft erschüttert und letztlich gestürzt. Sie trug den Titel »Alkoholische Gährung ohne Hefezellen« und der Autor war Eduard Buchner.
 
 Nobelpreiswürdige Forschungsleistung in den Herbstferien 1896
 
Zurzeit der Entdeckung der zellfreien Gärung im Herbst des Jahres 1896 war Eduard Buchner Professor für analytische und pharmazeutische Chemie an der Universität Tübingen. Die Experimente zur zellfreien Gärung führte er allerdings in den Herbstferien am Institut für Hygiene der Universität München durch, das sein Bruder Hans Buchner leitete und das über die notwendigen technischen Hilfsmittel verfügte. Das Forschungsziel der beiden Brüder bestand allerdings nicht darin, die herrschende vitalistische Theorie der Gärung zu Fall zu bringen, sondern es ging ihnen um die Gewinnung von Zellinhaltsstoffen aus der Hefe, die eventuell eine pharmakologische Bedeutung haben könnten.
 
Methodisch gingen die Buchner-Brüder und der Assistent Martin Hahn so vor, dass sie Hefe unter Zusatz von Quarzsand und Kieselgur mit einem schweren Stößel verrieben und den dabei entstehenden Teig mithilfe einer hydraulischen Presse unter hohem Druck filtrierten. Auf diese Weise erhielten sie einen nicht sehr haltbaren Presssaft, der keine lebenden Hefezellen mehr enthielt. Bei Versuchen, dieses Filtrat durch Zugabe von Zucker zu stabilisieren, beobachtete Eduard Buchner eine Gasentwicklung, die er als Kohlendioxidentwicklung einer einsetzenden alkoholischen Gärung erkannte. Es fand alkoholische Gärung statt, ohne dass lebende Hefezellen vorhanden waren.
 
Die Entdeckung kam unerwartet und zufällig, Doch Eduard Buchner war auf dem Gebiet der Gärungschemie nicht unerfahren. Schon in seiner Münchner Zeit hatte er hauptsächlich hervorragende organisch-chemische Synthesearbeiten erbracht und sich zusätzlich sowohl am Organisch-chemischen Institut von Baeyer als auch am Pflanzenphysiologischen Institut von Carl Naegeli mit gärungschemischen Untersuchungen befasst. Auch während seiner Tätigkeit an den Universitäten Kiel und Tübingen blieb er der Gärungschemie verbunden. Er war für eine solche Entdeckung sensibilisiert. Eduard Buchner konnte im Hefepresssaft einen Eiweißkörper nachweisen, der die alkokolische Gärung bewirkte und den er Zymase nannte. Diese Ergebnisse waren eine glänzende Bestätigung der Traube'schen Enzymtheorie.
 
 Nicht begabt, aber berühmt?
 
Adolf von Baeyer, der Doktorvater Eduard Buchners, erkannte sofort die großartige biochemische Leistung seines ehemaligen Schülers und stellte im privaten Gespräch fest: »Damit wird er berühmt, auch wenn er nicht für Chemie begabt ist.« Der zweite Teil dieser Bemerkung stimmte jedoch keinesfalls, denn auch auf dem Gebiet der Chemie — hier meinte Baeyer wohl die organische Chemie — hatte Buchner bedeutende Leistungen erbracht und sollte darin auch künftig sehr erfolgreich sein.
 
Die Anerkennung der Buchner'schen Ergebnisse und besonders die damit verbundenen Schlussfolgerungen für die Biologie erfolgten jedoch nicht problemlos. In den ersten Jahren nach der Entdeckung gab es noch eine Vielzahl von Gegnern, die sich absolut nicht von der vitalistischen Gärungstheorie trennen wollten. Noch 1927 wurde ein allerdings vergeblicher Versuch von sowjetischen Wissenschaftlern unternommen, die Existenz der zellfreien Gärung zu widerlegen.
 
Die weitere detaillierte Aufklärung der alkoholischen Gärung führte im 20. Jahrhundert zu der Erkenntnis, dass Zymase einen Enzymkomplex darstellt und es insgesamt der Anwesenheit von 13 Enzymen bedarf, um Zucker (Saccharose) in Alkohol (Ethanol) und Kohlendioxid umzuwandeln.
 
 Die Folgen der Entdeckung
 
Die Entdeckung der zellfreien Gärung hatte weit reichende Folgen. Die Bestätigung der Enzymtheorie der Gärung erwies sich als äußerst fruchtbar für die Entwicklung der Gärungschemie, der Enzymologie und generell der Biochemie. So wurde beispielsweise die herrschende Plasmatheorie des Stoffwechsels durch eine Enzymtheorie des Stoffwechsels abgelöst. Die Enzymforschung erbrachte im 20. Jahrhundert grundlegende Beiträge zur Gewinnung von Enzymen und zum Einsatz dieser Biokatalysatoren in der Lebensmittelindustrie, in der medizinischen Diagnostik, in Arzneimitteln, in Waschmitteln, in Kosmetika und in der organischen Synthesechemie.
 
Die Buchner'sche Entdeckung erreichte auch eine große weltanschauliche Bedeutung, da sie wesentlich zur Aufhebung der in jener Zeit häufig in der Biologie und Philosophie vertretenen Vitalismusdoktrin beitrug, nach der sich Lebensprozesse nicht auf physikalische und chemische Prozesse reduzieren ließen.
 
A. Neubauer

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Chemienobelpreis 1929: Hans von Euler-Chelpin — Arthur Harden —   Die beiden Chemiker erhielten den Nobelpreis für ihre Forschungen über die Gärung von Zucker und deren Gärungsenzyme.    Biografien   Hans Karl August Simon von Euler Chelpin,* Augsburg 15. 2. 1873, ✝ Stockholm (Schweden) 6. 11. 1964; ab 1906… …   Universal-Lexikon

  • Liste der Nobelpreisträger für Chemie — Der Nobelpreis für Chemie wird seit 1901 jährlich vergeben und ist mit 10 Millionen Schwedischen Kronen dotiert. Die Auswahl der Laureaten unterliegt der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Der Stifter des Preises, Alfred Nobel,… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”